SLAVA SEIDEL
RAUMILLUSIONEN
In ihrer ersten Einzelausstellung bei Alp Galleries stellt Slava Seidel eine Auswahl ihrer Arbeiten auf Papier und auf Leinwand vor, mit denen sie sich souverän durch das Grenzgebiet zwischen Zeichnung und Malerei bewegt. Slava Seidel, 1974 in der Ukraine geboren, wuchs in Russland auf. Sie studierte in Sankt Petersburg Innenarchitektur, was sich als eine solide Grundlage für die komplexen Raumsituationen ihrer späteren Bilder erwies. Nach ihrem Studium der Freien Kunst an der renommierten Städelschule in Frankfurt a. M. wurde sie 2009 Meisterschülerin bei Christa Näher. Heute lebt und arbeitet sie in Wetzlar.
Typisch für die Arbeiten von Slava Seidel ist ihr virtuoser Umgang mit Bildräumen, die oft schon auf den ersten Blick verwirrend und bei längerer Betrachtung zunehmend rätselhaft und paradox erscheinen. Immer wieder entwirft sie überraschende und vielschichtige Außen- und Innenräume als Aktionsbühnen für die Menschen und Tiere, die sich durch ihre Bilder bewegen: Raumgefüge, die an historische Vorbilder erinnern, insbesondere an die illusionistischen Raumerweiterungen des Barock und des Rokoko oder auch an Theatersäle vergangener Jahrhunderte. Dabei handelt es sich bei diesen Räumen keineswegs um Abbildungen realer Architektur, sondern um kühne Umdeutungen und Variationen historischer Bauformen, die eine geheimnisvolle, magische Atmosphäre erzeugen. Slava Seidels Raumillusionen stecken voller Rätsel und Abgründe, die den Betrachter geradewegs in eine Welt führen, in der sich Realität, Theater, Erinnerung, Traum und Fantasie zu einer unentwirrbaren Einheit verbinden. So erweist sich die Künstlerin als eine Illusionistin, in deren Bildwelten sich die gewohnte Logik auflöst, wo sich unterschiedliche Raum- und Zeitebenen überraschend und spannungsvoll begegnen. Die spezifische Aura ihrer Bilder ist entscheidend von den besonderen Eigenschaften der Sepiatusche geprägt, mit der die Künstlerin seit 2005 bevorzugt arbeitet. Die wässrig aufgetragene Tusche changiert je nach Malgrund und Verdünnungsgrad von Grau nach Braun, Grün oder Blau, bildet Flecken und Rinnsale im Bildgefüge und überzieht die Motive mit einer imaginären Patina, die an alte Fotografien und an das Kino der Stummfilmzeit denken lässt.
Die neuesten, 2014/15 entstandenen Bilder von Slava Seidel sind durchsetzt von farbigen, in Ölmalerei ausgeführten Einsprengseln, die das Bildganze noch weiter komplizieren. Raumöffnungen, Fensterdurchblicke, Bilder im Bild brechen die Räume auf, bieten farbige Ausblicke in andere Zeit- und Realitätsebenen und eröffnen Zugänge in bildliche Parallelwelten. Das Thema Raumillusion wird in diesen Arbeiten noch um eine weitere, spannende Facette bereichert.
Dr. Peter Lodermeyer, Kunsthistoriker und Kurator, Bonn