Willi Bucher – Kunsterfinder
Dieter Ronte
Und es gibt sie doch: Künstler, die nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen, die sich weigern, durch Wiederholungen eine neue Ästhetik zu kreieren, die sich aus dem Kunstbetrieb heraushalten, weil sie es mit der Kunst, dem Leben, der eigenen Neugier und der Verwunderung des Betrachters ernst nehmen. Willi Bucher ist einer dieser seltenen Zeitgenossen, die Kunstwerke schaffen, die sich immer weiterentwickeln, eine eigene Aura haben, die Fragen von morgen und nicht die von gestern beantworten können, die sich weigern, nur als Beleg für eine soziokulturelle These zu fungieren. Dieses freiheitliche Denken praktiziert Bucher mit Überzeugung, Humor, Ernsthaftigkeit und analytischer Intelligenz als Lehrender, Kurator und bildender Künstler, der sich in den Medien auskennt, sie weiterentwickelt zur Freude der Ingenieure, der sich so ein breites und dennoch unverkennbares Spektrum künstlerischer Optionen aufgebaut hat, ohne sich verraten zu müssen.
Die Quadrate sind kleine Bilder auf Papier, auf dem sich 1000 bis 1200 kleine Quadrate oder Rechtecke befinden, unterbrochen von Farbläufen in Ölfarbe. Bucher nutzt die Erfahrungen einer Zeit, in der die Pixel die Welt und die persönlichen Daten regieren, aus ästhetischen Beweggründen, und er schafft neue visuelle Räume, Muster und Reihungen, die mit Vorder- und Hintergrund spielen. Sie können wie Buchstaben oder ganze Erzählungen gelesen werden, wie ein neues Esperanto, das auf den jeweiligen Betrachter in seiner Individualität Bezug nimmt. Poesie und ganze Romane erleben ihre Grammatik der Farbe und des Raumes.
Die OLED-Stelen (entwickelt mit dem Architekten Martin Skowronek und der OLED-Abteilung der Firma Merck) sind als Skulpturen aus organischen Leuchtdioden für den öffentlichen Raum gedacht. In ihrer präzisen Farbigkeit erinnern die 15–20 Meter hohen Säulen auf einem drei Meter hohen Sockel an konstruktive Traditionen in der Malerei, an Josef Albers und das Bauhaus, die Zürcher Konkreten, den Suprematismus, an Mondrian usw. Kurz, sie tragen die Kunstgeschichte in sich, die sie somit zum Monument erhöhen. Je nach Ausstellungsort wird die Diskussion eine kunsthistorische sein, z. B. vor dem Landesmuseum Darmstadt, sie nimmt aber auch Bezug auf den architektonischen Raum, oder sie steht als ein menschliches Artefakt, erdacht mithilfe von Computern, als ein Addendum und zugleich eine Fragestellung in der Natur, die sie als Ausgangspunkt einer ästhetischen, dreidimensionalen Malerei nimmt, ohne von ihr zu kopieren. Wobei diese Natur, sei es Ackerland oder ein Park, immer eine künstliche, also vom Menschen gestaltete Natur ist.
Der Meercontainer (Entwurf) ist ein Turm aus 5 Containern und ragt etwa 15 Meter in die Höhe. Der Container – assoziierbar mit Ordnung, Transport usw. – ist ein Gestaltungselement, das Bucher schon früher (in den Installationen Zivilisationsrest und Mea culpa) in sein künstlerisches Denken miteinbezogenen hat und das zugleich verdeutlicht, welche gesellschaftlichen Strukturen der Künstler aufzeigen will. Die Technik wird aus OLED-Bildschirmen bestehen, die hinter einer in 81 Quadrate gegliederten Doppelglaswand angebracht sind. Digitale Welt und Naturwelt agieren zusammen: Wirkliches fließt gegen digitales Wasser, ein vielfältiges Ereignis, das Ruhe und Unruhe, Begeisterung und tiefes Nachdenken auslöst.
Die Video-Stills entnimmt Bucher den früheren Videoarbeiten Spüli und Fließendes Weiß. Denn Bucher entwickelt seine Arbeiten konsequent weiter. Das künstlerische Denken ist ein fortlaufender Prozess ohne Ende. Das heißt, dass der Künstler aus den älteren Arbeiten einen gegenwärtigen Nutzen zieht, indem er sie immer wieder hinterfragt, ohne sie infrage zu stellen. Solche künstlerischen Prozesse kennen wir aus der Kunstgeschichte, weniger aus den innovativen, heutigen medialen Bereichen. Doch Buchers Kunst ist eine stete Neubefragung unserer Wirklichkeit, die in die Arbeiten einfließt und zugleich eine andere Dimension der durch das Kunstwerk erweiterten Wirklichkeit ist.
Die Kunst Buchers ist von großer visueller Kraft, die allerdings nicht zur simplen Verschönerung eingesetzt wird, sondern als Diskussionspartner für die Betrachter erarbeitet worden ist. Der Dialog ist voller Überraschungen und führt zu neuen Erkenntnissen über das Leben, das Tun und das Sich-selbst-Verwirklichen. Seine Kunst dringt innovativ in die Bereiche von Kunst, Wissenschaft und Natur ein.
Prof. Dr. Dieter Ronte studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik in Münster, Pavia und Rom. Von 1979 bis 1989 leitete er das Museum moderner Kunst in Wien, anschließend das Sprengel Museum Hannover und von 1993 bis 2008 das Kunstmuseum Bonn. In Wien lehrte er an der Akademie der Bildenden Künste sowie an der Hochschule für angewandte Kunst; auch an den Universitäten von Hannover und Bonn gab er Lehrveranstaltungen. Er ist Autor zahlreicher Schriften zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Von 2007 bis 2015 war Ronte Direktor des Forum Frohner in Krems. Heute lebt er als freier Kurator in Bonn und Palma.