Aus: Zeitkunst März 2016

FASZINATION VERHÜLLUNG

Alp Galleries und Christo's "The Floating Piers"

 

Nachts in Paris ist Maria-Anna Alp im Herbst 1985 nah einem arbeitsreichen Tag in der Modebranche noch schnell zu Christo's Projekt "Pont Neuf, Wrapped" gefahren. Die älteste Brücke der Stadt war mit 42.000 Quadratmeter seidig schimmerndem, champagnerfarbenen Stoff umhüllt. Sie war begeistert: "Christo wirft nicht einfach Stoff über die Objekte, sondern kreiert Haute Couture, das ist Faltenwurf, massgeschneidert!" Ihr spontaner Wunsch war, eines Tages eine Original-Zeichnung von Christo zu besitzen.

Im Jahr 2000 gründete Alp ihre Galerie inmitten von Manhattan, in einem Loft in  Chelsea, New York, und zeigte dort in einer an den europäischen Salon angelehnten Atmosphäre  Arbeiten aufstrebender deutscher Künstler. Aus der Teilnahme am Shanghai Art Salon 2003 in Shanghai entwickelte sie das Konzept "Kunstachse New York, Frankfurt, Shanghai" und konzentriert sich seitdem auf die Zusammenarbeit mit Künstlern und Ausstellungen in diesen Metropolen. Maria-Anna Alp bemühte sich in New York um Kontakt zu Christo und seiner Frau Jeanne-Claude, die in 2009 verstorben ist. Nach einigen Anläufen gelang es der engagierten Galeristin, eine geschäftliche, aber auch persönliche und über die Jahre geradezu freundschaftliche Beziehung zu den Beiden aufzubauen.

 Als in 2005 das Projekt "The Gates " im Central Park von New York realisiert wurde, hatte sie bereits Zugang zu Christo's Studio und durfte ihren Kunden im Beisein der Künstler die Original-Zeichnungen und -Collagen anbieten. In gleicher Weise unterstützt sie das für 2018 geplante Projekt "Over the River". Und ganz aktuell: "The Floating Piers, begehbare, goldfarbene, schwimmente Ponton-Stege am und über den Iseo-See in Oberitalien, 16 Meter breit und insgesamt 4,5 Kilometer lang, der Öffentlichkeit zugänglich vom 18. Juni bis 3. Juli diesen Jahres. 

Seit 2009 ist Frankfurt der Sitz von Alp Galleries, und Alp führt ihr "Kunstachsen"-Konzept dort unverändert weiter.

 

Christo: "The Floating Piers, Project for Lago d'Iseo, Italy"

18.6. - 3.7. 2016

Alp Galleries

Eschborner Landstr. 164

D-60489 Frankfurt am Main

www.alpgalleries.com 

 

 

 

 

 

 

 

CHRISTO-MANIA

Gigantisch, sensibel, sinnlich:

16 Tage lang waren Christo's Floating Piers auf dem lago d'Iseo in italien zu besichtigen -

und begeisterten die Massen.

Ein Kunsterlebnis für alle Sinne

von Ute Thon, Textchefin, ART- Das Kunstmagazin, August 2016

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So viele Bilder. The Floating Piers waren gerade eröffnet, da wogte die Bilderflut schon durch alle Netze. Kaum hatten die Besucher die goldgelben Laufstege betreten, zückten sie die Smartphones und posteten ihre Eindrücke auf Facebook, Twitter oder Snapchat. Und alle Welt wurde sofort Zeuge, wie Menschen ihre Schuhe wegkicken und barfuß über schimmernde Stoffbahnen hüpfen, sich auf den sanft wogenden Stegen ausstrecken, wie radschlagende Kinder die schwimmenden Pontons als Turnmatte nutzen und sich Bikinischönheiten an der Wasserkante in Pose werfen. Christo's spektakuläres Kunstwerk am Lago d'Iseo in Oberitalien ist das erste Grossprojekt des bulgarisch-amerikanischen Künstlers in der Social-Media-Ära. Mit seinen starken Farben - Smaragdgrün, leuchtend Orange, Himmelblau - und der italienischen Bilderbuchkulisse sind die Floating Piers das ideale Motiv der Instagram-Generation. Inzwischen wurden sie sogar von Google Streetview im Web verewigt.

 

Und doch vermitteln all diese Bilder nur ein vages Gefühl davon, was Christo und Jeanne-Claude's Kunst wirklich ausmacht. "Es geht um's Laufen", sagt der Künstler. "Um alle Sinne, das Gefühl unter den Füssen, die Luft, die Feuchtigkeit des Stoffs, das Plätschern der Wellen". Diese umittelbaren Sinneseindrücke konnte nur erfahren, wer sich nach Italien aufmachte und die fünfeinhalb Kilometer langen Laufstege abwanderte. Das taten die Menschen dann auch in Scharen. Während der 16-tägigen Laufzeit kamen über 1,2 Millionen Besucher mit Autos, Bussen und Sonderzügen aus Brescia. In Sulzano, sonst ein verschlafenes Städtchen mit Jasminhecken und roten Ziegeldächern - und nun das Nadelöhr, durch das man die Stege betrat - herrschte Ausnahmezustand. Die Hauptstraße war für den Durchgangsverkehr gesperrt. Viele Leute hatten ihre Autos auf entlegenen Parkplätzen abgestellt und kamen zu Fuß wie die Pilger auf einer Wallfahrt. Auch die Gassen rund um den Hafen hatte Christo als Einstimmung und Leitsystem zu den Floating Piers mit orangefarbenem Stoff geschmückt. Am Weg hatten Restaurantbesitzer Bistrozelte und Getränkestände aufgebaut, die Schaufenster der Geschäfte waren orange dekoriert. Souvenirhändler boten orangefarbene Netztextilien, Schirme und T-Shirts an.

 

Auf den Stegen dagegen wurden nichts verkauft, nicht einmal einen VIP-Bereich gab es, in dem sich die Superwichtigen und Superreichen abgeschirmt vom einfachen Volk hätten tummeln können. Auf den schwimmenden Stegen waren alle gleich, nur wer sich unter die Leute mischte, konnte die Floating Piers wirklich erleben und seinen persönlichen Lieblingsplatz ausfindig machen. Zum Beispiel auf der Rückseite der kleinen Insel San Paolo, wo die Pontons besonders breit und die Faltenwürfe besonders kunstvoll waren. Dort konnte man die sorgfältige Umsetzung des Projekts im Detail bewundern: Aus den schwimmenden Stegen erhob sich am Ufer eine Weide, unter der kurz vorher noch ein Schwanenpaar gebrütet hatte, der Baum war sorgsam ausgespart und der Wasserzugang solange offengehalten worden, bis der Schwanennachwuchs flügge war.

 

Wegen des großen Ansturms kam es immer wieder zu langen Wartezeiten. Anfangs schienen die Behörden etwas überfordert vom Zuschauerstrom - auch zum Unmut Christos, der den Besuchern gern einen unbeschwerteren Zugang zu seinem Werk gewährt hätte. Doch Polizei und Wasserwacht wollten kein Risiko eingehen. Wegen Gewitterwarnungen wurden die Piers am Abend der Eröffnung sogar ganz geräumt - obwohl sie eigentlich rund um die Uhr zugänglich sein sollten - was bei Vollmond über dem Lago besonders magische Momente versprach. Aus Sicherheitsgründen blieben sie dann doch in den Nachtstunden gesperrt. Immerhin bis Mitternacht durfte man über die mit hunderten von Lichtern illuminierten Piers wandeln - und das alles gratis und ohne welterklärende Botschaft. Hier hatten einmal nicht die selbstverliebten Starkuratoren das Sagen, sondern ein eigenwilliger, visionärer, dickschädeliger, unkorrumpierbarer Künstler alter Schule, dem es allein um "Freude und Schönheit" geht, der nach vollendeter Arbeit lieber im Hintergrund bleibt und sein Werk sprechen lässt, als sich Arm in Arm mit den Very Important People ablichten zu lassen.

 

Wer außer Christo beschert uns heute noch solch einzigartige Kunsterlebnisse? Ein Werk, das aus dem All sichtbar ist und doch mit nackten Füssen betreten werden will, gigantomanisch und hypersensibel, gänzlich sinnlos und doch auf beschwingte Art sinnstiftend, total egozentrisch und radikal demokratisch. Die treffendsten Worte fanden mal wieder die Italiener, die sich schon in der Planungsphase in Rekordzeit von Christo's verrückten Plänen überzeugen ließen, während er in Berlin oder New York jahrzehntelang um Genehmigung für seine Projekte hatte warten müssen. Und die massenhaft zum Lago d'Iseo pilgerten und sich mit spontanem Applaus für die "Passerella" bedankten. "Sensationell", "Einzigartig", "Ein Grund zum Lächeln!", so riefen Sie und blieben auch dann noch gelassen, als stundenlang nichts mehr ging am Eingang der Floating Piers. Weil jeder spürte, dass er ein Teil von etwas Größerem war.

Das Woodstock der Kunstwelt? Vielleicht, aber mit Schaumwein statt LSD.

Mille Grazie, Christo!       

Ute Thon und Christo am Lago d'Iseo März 2016

ART Magazin Juni 2016

 

Christos Floating Piers

Ute Thon, Art Magazin, im Interview mit Christo am Lago d’Iseo, März 2016

 

 »Das wird sehr sexy!«

Im Juni startet Christos neustes Projekt: »The Floating Piers« - eine kilometerlange begehbare Skulptur aus leuchtend goldenen Schwimmstegen auf dem Iseosee in Italien. art hat den bulgarischen Künstler mitten in den Vorbereitungen getroffen.

 

Christo lässt Leute übers Wasser laufen – so prosaisch und prophetisch zugleich könnte man die jüngste Kunstaktion des weltberühmten Künstlers mit dem biblischen Namen beschreiben, die derzeit am Lago d’Iseo in Oberitalien Gestalt annimmt. "The Floating Piers" sind das erste Großprojekt, das Christo ohne seine langjährige, 2009 gestorbene Partnerin Jeanne-Claude verwirklicht – und eines der schnellsten, die er je umgesetzt hat. Normalerweise vergehen Jahrzehnte zwischen Planung und Realisierung. So wurde der "Wrapped Reichstag" 1995 erst nach 24 langen Jahren zäher Verhandlungen und dem Fall der Mauer Wirklichkeit. Bis 7503 orangefarbene "Gates" im Central Park aufgestellt werden durften, vergingen sogar 26 Jahre. In Italien hatte Christo dagegen schon nach einem Jahr die Genehmigung bekommen und steckt jetzt mitten in den Vorbereitungen: Vom Ufer des Iseosees wird er einen drei Kilometer langen schwimmenden, mit leuchtend gelben Stoff bezogenen Spazierweg übers Wasser legen, der das Hafenstädtchen Sulzano mit einer Insel mitten im See verbindet und eine weitere, kleinere Insel umrundet. Ab 18. Juni können die "Floating Piers" dann 16 Tage lang als Wanderweg oder Liegewiese genutzt werden, bieten ungewöhnliche Ausblicke auf das Seepanorama und fungieren als temporäre Großskulptur, die von den Bergen ringsherum sichtbar ist.

Noch aber ist es nicht soweit. Im Moment läuft die Produktion auf Hochbetrieb. In Christos "Fabrik" am See werden aus vorgefertigten Plastikkuben rund um die Uhr Schwimmstege produziert, die in der Mitte des Sees geparkt werden, bis sie zur endgültigen Position geschleppt werden. Gleichzeitig bringen Profitaucher auf dem Seegrund tonnenschwere Anker an, an denen die Piers später befestigt werden. Hinter der scheinbar simplen Idee, Leute über Wasser laufen zu lassen, stecken höchst komplexe Ingenieurleistungen – und die schweißtreibende Arbeit einer hochmotivierten Crew, die Christo wie eine Familie von Projekt zu Projekt folgt. ART hat den Künstler am Lago d’iseo zum Gespräch getroffen. Und obwohl sein Hauptquartier am See für Außenstehende eigentlich Off-limits ist, durften wir einen Blick hinter die Kulissen werfen und sogar schon mal einen Testlauf auf den schwimmenden Stegen wagen.

 

Wie sind Sie auf die Idee der Floating Piers gekommen?

 

Es hat angefangen mit einer Autofahrt in Deutschland. Im April 2014 bekam ich in Stuttgart den Theodor-Heuss-Preis überreicht. Auf dem Weg zurück sagte ich zu unserem Projektleiter Wolfgang Volz, dass ich nächstes Jahr 80 werde und es nicht ertragen kann, dass die Projekte, an denen wir gerade arbeiteten, "Over The River" und "Mastaba", so schleppend vorangehen. Ich würde gern etwas schnelleres innerhalb von zwei, drei Jahren machen. Also erzählte ich von den Floating Piers, einer alten Idee aus den frühen siebziger Jahren. Damals wollten Jeanne-Claude und ich das im Rio de la Plata in Argentinien machen und später, 1996/97 in der Tokio Bay. Doch zu jenem Zeitpunkt waren die Ponton-Systeme noch nicht so weit entwickelt wie heute. Erst um 2001 herum wurden diese High-Density-Cubes erfunden, mit denen heute überall auf der Welt Schwimmdocks gebaut werden und die wir jetzt für unser Projekt nutzen.

 

Wie sind Sie dann auf ausgerechnet auf diesen kleinen See in Oberitalien gekommen?

 

Ich kannte die norditalienischen Seen, Lago Maggiore, Lago di Como und Lago di Garda von früher, weil wir hier viele Sammler haben, aber ich hatte keine genaue Vorstellung, wo die Floating Piers am besten realisiert werden könnten. Was wir wussten, war dass Lago d’Iseo eine Insel mit einem Berg hat, Monte Isola, die größte Insel mit dem höchsten Berg in einem Binnensee Europas! Der Berg ist 500 m hoch. Auf der Insel leben 2000 Menschen, es gibt keine Brücke zum Festland, sondern sie sind auf den Fährservice mit Booten angewiesen. Mit den Floating Piers können diese Leute plötzlich zu Fuß zu ihrer Insel gehen, das war für mich ganz wichtig. Außerdem sollte der See nicht zu verwinkelt sein. Lago d’Iseo hat eine sehr einfache Form ohne tiefe Inlets. Und wesentlich war auch, dass er umringt ist von sehr hohen Bergen, von denen man die Piers dann von oben bewundern kann. Es gibt nicht nur die Uferstraße, sondern eine Autobahn auf ungefähr 120 Metern Höhe. Da hat man eine gute Aussicht.

 

Das Projekt wurde in Rekordzeit bewilligt. Wie haben Sie das geschafft?

 

Jeder See in Italien hat seinen eigenen Präsidenten, ernannt von der zentralen Regierung in Rom, der für die Wasserwege, den Verkehr usw. zuständig ist. Im Juli 2014 hatten wir ein Treffen mit Giuseppe Faccanoni, dem Präsidenten des Iseosees. Das war großes Glück, genauso wie damals mit dem Reichstags-Projekt. Wir hatten mit sechs verschiedenen Präsidenten des Bundestags gesprochen und wenn Rita Süßmuth nicht Präsidentin geworden wäre, wäre der Wrapped Reichstag nie zustande gekommen. Genauso wenig, wie wir ohne den New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg niemals die Gates im Central Park hätten realisieren können. Herr Faccanoni ist ein sehr kultivierter Gentleman mit Interesse an Kunst. Mittlerweile nennen wir in Pepe, er ist ein großer Unterstützer des Projekts, der uns wesentlich geholfen hat, das Projekt voranzutreiben.

 

Fühlen sich Politiker nicht generell geschmeichelt, wenn ein Künstler Ihres Rangs sie um Unterstützung bittet?

 

Nein. Das Problem ist oft, dass der Widerstand dann startet, wenn ich in Erscheinung trete. Deshalb rieten meine Projektmanager mir, mich möglichst wenig in der Öffentlichkeit zu zeigen. Stattdessen traten die Techniker und Administratoren des Projekts auf, nicht ich selbst. Die offizielle Bewerbung für das Projekt lief unter dem Namen des Ingenieurbüros. So ging alles wunderbar glatt. Erst viel später, als wir schon grünes Licht hatten für das Projekt und es eine letzte Präsentation gab, Conferenzia de Servicidate, hielten wir am 20. April 2015 in Rom eine Pressekonferenz ab. Erst da hörte die Öffentlichkeit davon.

 

Was war das schwierigste bei diesem Projekt?

 

Alles kann schwierig sein. Im Moment ist es am wichtigsten, dass alles rund läuft. Das ist nicht so, als würde man eine Brücke oder ein Hochhaus bauen, wo man genau weiß, wie es geht. Wir versuchen, jede unnötige Schwierigkeit zu vermeiden. Gerade macht uns der Verkehr Sorgen, nicht die Leute auf den Piers, sondern wie sie hierher kommen: mit dem Auto, dem Zug oder per Boot. Denn es ist ein Projekt, das man begehen muss nicht einfach nur von weiten ansehen und weiterfahren. Dazu haben wir Besprechungen mit dem lokalen Behörden, wie man das logistisch bewältigen kann.

 

Welche Regeln gelten für das Betreten der Piers? Die Italienerinnen tragen ja gern High Heels. Dürfen sie damit drauf?

 

Klar, sie können ihre High Heels anlassen, doch eigentlich ist es das beste, die Piers barfuß zu erleben. Das wird ein unglaubliches Gefühl sein, so über den Stoff zu laufen – sehr sexy, wie ein Wasserbett. Wir halten auch niemanden davon ab, rund um um die Uhr auf den Piers zu bleiben, sie werden 24 Stunden geöffnet sein. Und es kostet keinen Eintritt.

FAZ 21.04.2016, von Tillmann Neuscheler, Sulzano

 „Floating Piers“

Der Stoff für Christos See-Projekt

Verpackungskünstler Christo will gelb-orange-farbene Stege über einen See in Italien bauen. Die Region hofft auf Touristen. Den Stoff liefert ein deutsches Textilunternehmen.

Im Sommer will Christo barfuß über einen See in Italien gehen. Für den Bulgaren ist es das erste Großprojekt nach „The Gates“ im New Yorker Central Park vor elf Jahren und zudem das erste ohne seine 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude. Ausgewählt hat er dafür den idyllisch gelegenen Iseosee in der Lombardei, den einst eiszeitliche Gletscher aus den Alpen geschliffen haben. Gelb schimmernde Fußgänger-Stege will Christo zwischen dem beschaulichen Ort Sulzano am Ufer des Sees und dem Inselberg „Monte Isola“ für sein Projekt „Floating Piers“ bauen. Für die Stege über den See werden 200.000 Würfel aus Kunststoff zu Schwimmbrücken verbunden, die mit gelbem Nylonstoff überspannt werden. Auch einige Straßen in Sulzano am Ufer und in Peschiera Maraglio auf der Insel werden mit Stoff drapiert. 16 Tage lang – vom 18. Juni bis zum 3. Juli – kann dann jeder, der mag, auf nackten Füßen über die drei Kilometer langen, im See wippenden Pontons spazieren.

Für die Region ist das ein großes Spektakel, denn meist steht der Iseosee etwas abseits der großen Touristenströme. Er ist der kleinste der vier großen oberitalienischen Alpenseen, die meisten Urlauber zieht es mehr an den Gardasee östlich oder den Comer See und den Lago Maggiore im Westen. Selbst viele Italiener kennen den See nicht. Im Süden des Sees ist Italiens Gummiindustrie zu Hause, rund 200 Firmen fertigen hier vor allem Dichtungen für die Auto- und Schiffsindustrie. Unter Weinkennern ist die Gegend für seine Franciacorta-Weine bekannt. Früher wurde gleich neben dem See auch Torf gestochen, heute können Hobby-Ornithologen an den früheren Torfgruben, die sich mit Wasser gefüllt haben, Vögel beobachten.

Seit auch noch vor einigen Jahren die Schnellstraße auf der Anhöhe über Sulzano gebaut wurde, fährt der große Verkehr an den Orten des Ostufers vorbei. Das ist zwar schön für die Idylle, aber schlecht fürs Geschäft, klagen Hoteliers und Geschäftsleute in Sulzano. Sie hoffen, dass Christos Schwimmbrücken-Projekt im Sommer mehr Touristen an den See lockt und die Region aus dem Dornröschenschlaf erwacht.

Monte Isola ist immerhin die größte bewohnte Insel in einem europäischen Binnengewässer. Autos sind hier verboten, die Bewohner allerdings dürfen Motorroller fahren, Touristen allenfalls Fahrrad oder Inselbus.

Ganz oben auf der Spitze der Insel thront eine kleine, Madonna geweihte Kirche. Die Insel war einst ein Zentrum der italienischen Netzweberei, fast alle Fischernetze kamen von hier, doch das ist lange vorbei. Wer derzeit durch die kleinen Inseldörfer Senzano und Cure vorbei an Olivenbäumen nach oben wandert, kann von dort schon in der Ferne die ersten Pontons für das Christo-Projekt im See schwimmen sehen. Denn in einer stillen Ecke des Sees haben Monteure die Würfel bereits zu langen Segmenten zusammengesetzt. Dort schwimmen sie jetzt zwischengelagert und warten darauf, mit dem gelb-orangefarbenen Stoff überspannt zu werden. Damit die Pontons später an den dafür vorgesehenen Stellen bleiben, setzen Taucher derzeit rund 160 Anker in den See.

Auch die Privatinsel des Waffenfabrikanten Beretta ist Teil des Kunstwerks

Die Arbeiten kann man von der Inselkapelle verfolgen. Von hier oben sieht man auch auf die kleine vorgelagerte Insel San Paolo herab. Sie ist seit langem in Privatbesitz und gehört der italienischen Waffenfabrikantendynastie Beretta. Die Waffenfamilie ist begeistert von dem Projekt und hat Christo erlaubt, die Mini-Privatinsel in sein Kunstwerk einzubeziehen. Die 16 Meter breiten Stege werden daher auch um sie herumführen.

Auch die Behörden in der Region fanden Gefallen an dem Projekt; innerhalb kürzester Zeit war die Sache genehmigt. Der Zuspruch kam Christo gelegen: Die Idee für ein ähnliches Projekt hatte er bereits in den siebziger Jahren. Zuerst hatten er und seine Frau ein Gewässer in Argentinien im Sinn, doch bekam er dafür nie die Genehmigung. Später dachte er an die Bucht von Tokio, doch das war technisch zu schwierig. Vor zwei Jahren schaute er sich die oberitalienischen Seen an und fand den Iseosee ideal.

Stoff aus dem Münsterland

Mehrere deutsche Firmen sind an dem Projekt beteiligt. Zwar wurden die 200.000 Kunststoffwürfel für die Pontons in einer italienischen Fabrik gefertigt, aber den safrangelben Stoff hat die Firma Setex aus Greven im Münsterland geliefert. Das Unternehmen produziert normalerweise Stoffe für die Industrie, für Matratzenbezüge und Berufsbekleidung. Auch schwer entflammbare Stoffe für Theatervorhänge werden im Münsterland gewebt. Doch zuletzt lief eine der Webmaschinen acht Wochen lang für den Auftrag von Christo: 100.000 Quadratmeter Stoffbahnen lieferte Setex für das Projekt, erzählt Projektleiterin Diana Göcke. Genaue Geschäftszahlen will sie zwar nicht nennen, aber das sei auch für Setex in Greven mit 190 Mitarbeitern „ein schöner Auftrag“.

Dass der Bulgare das Nylongewebe ausgerechnet im Münsterland bestellt hat, liegt an der Vorgeschichte des Unternehmens. Vor vier Jahren übernahm das Unternehmen die Weberei Schilgen. Deren früherer Inhaber hatte schon den Stoff für Christos Reichstagsverhüllung im Jahr 1995 und später für die verhüllten Bäume in Basel („Wrapped Trees“) und die Tore im New Yorker Central Park („The Gates“) geliefert. Er hatte sich drei Jahre vor der Reichstagsverhüllung bei Christo und seiner inzwischen verstorbenen Frau Jeanne-Claude gemeldet, nachdem er von dem Projekt erfahren hatte, und dann auch den Zuschlag erhalten. Mit dem Stoff aus dem Münsterland und dessen Faltenwurf war der Verhüllungskünstler offensichtlich so zufrieden, dass er nun zum vierten Mal dort bestellt hat. Zwar kam der 81-Jährige dieses Mal nicht selbst in die Fabrik, aber die Anforderung für den Stoff war auch so klar, als Setex im Frühjahr des vergangenen Jahres den Auftrag erhielt. Schmutzabweisend, wasserfest und schön gelb-orange gefärbt sollte der Stoff sein.

  Der Stoff sei aber anders als bei der Reichstagsverhüllung, erklärt Göcke. Das Material für den Reichstag sei Polypropylen gewesen, der Kunststoff sei damals mit Alu bedampft worden, damit er den silbrigen Glanz bekam. Inzwischen setze Christo auf Polyamid, weil da die Farben so brillant aussähen. „Das ist ein ganz anderes Gewebe“, sagt Göcke. Es wiegt mit 320 Gramm pro Quadratmeter nur etwa halb so viel wie das für den Reichstag. Zudem ist für den „Floating Piers“-Stoff das ganze Garn gefärbt worden.

Das Garn für den Stoff haben zwei Unternehmen aus Wuppertal geliefert. PHP Fibres ist eigentlich auf technische Garne spezialisiert und macht Fäden für Airbags, Reifen, Sicherheitsgurte, Segeltuch, technische Seile und Schlauchboote. Auch die Wuppertaler haben mit Christo schon früher zusammengearbeitet. Vor 30 Jahren lieferten sie das Garn für die Sonnenschirme des „Umbrella“-Projekts in Kalifornien und später für die Tore in New York. Gefärbt wurden die Fäden für „Floating Piers“ von der Firma Wylach, einem der letzten überlebenden Garnfärbereien in Wuppertal. Dahliengelb sollte es sein, damit sich ein schöner Kontrast zum blauen Wasser des Sees ergibt.

Genäht wird in Lübeck

Die fertigen Stoffbahnen hat Setex dann nach Lübeck geschickt. Dort wird der Stoff vom Unternehmen „Geo - Die Luftwerker“ in Form geschnitten und in größere Flächen zusammengenäht – jeweils etwa 30 Meter lang und 17 Meter breit. Dazu kommen Sonderschnitte für Übergänge und Straßen. An den Außenkanten nähen die Lübecker Blei in den Saum ein, damit der Stoff nachher an den richtigen Stellen unter Wasser bleibt und nicht obendrauf schwimmt: „Das sieht dann besser aus“, sagt Unternehmensgründer Robert Meyknecht. Auch Ösen für die Seile zur Befestigung werden schon in Lübeck eingenäht.

Das Unternehmen hat rund 20 Mitarbeiter und ist eigentlich spezialisiert auf die Instandhaltung von Heißluft- und Gasballonen; manchmal näht es auch große Stoffbanner für Werbezwecke. Der Auftrag von Christo ist sehr ungewöhnlich für die Lübecker. Im Herbst sind sie für rund 10 Tage nach Italien gefahren, um mit dem 3D-Scanner die Örtlichkeiten zu vermessen. „Wir kennen jetzt jeden Zentimeter“, sagt Meyknecht. Nach dem Vermessen haben die Lübecker am Computer die Schnitte entwickelt. Zuvor hatten sie schon an einem Tümpel in einem Wald heimlich getestet, wie der Stoff gefaltet sein soll, auch Christo war dabei.

Noch ist zwar nicht alles fertig genäht, aber der meiste Stoff liege schon bei einer Spedition in Hamburg bereit für den Transport an den Iseosee. Etwa 200 Pakete – jeweils etwa 185 Kilogramm schwer – werden dann Anfang Juni mit dem Lastwagen nach Italien gefahren. Auch Meyknecht selbst wird Anfang Juni an den Iseosee fahren, um schon mal die 600 Helfer vor Ort zu schulen. 15 Spezial-Nähmaschinen werden die Lübecker an den Iseosee mitnehmen.

Jedes Stoffpaket ist genau beschriftet und soll vor Ort dann mit dem Helikopter an die vorgesehene Stelle geflogen werden. Denn das eigentliche Verhüllen der Stege soll ganz schnell gehen: „Christo würde am liebsten mit dem Finger schnippen“, sagt Meyknecht, „aber das geht natürlich nicht.“ Innerhalb weniger Tage aber müssen die Stege und Straßen mit dem Stoff überzogen sein, sagt Meyknecht: „Wir werden wohl vor allem nachts arbeiten müssen.“