Wer eine Kontaktanzeige aufgibt, scheint ein klares Ziel zu haben. Bei genauerer Lektüre erweist sich jedoch das Geflecht aus Entschlossenheit, Sehnsucht und Unzufriedenheit, das uns in der ‚New York Times’ unter der Rubrik ‚Personal classified ads’ entgegentritt, als ein eher vager Griff in eine ungewisse Zukunft. Fast alle von Roswitha Steinkopf verwendeten Anzeigen sind dieser Zeitung entnommen, meist gekürzt, doch wörtlich. Bei aller Verschiedenheit der Menschen, die hinter einer solchen Kontaktanzeige stehen, ist ihnen gemeinsam, dass sie, wie ein Schriftsteller oder wie ein

Künstler, einem leeren Blatt konfrontiert waren, das zum Träger ihrer Anzeige werden sollte. Auf dem Weg ihrer Gedanken zur Schrift gerieten sie auf Fragen wie ‚Was will ich eigentlich?’ und ‚Wer bin ich?’ Jeder will mehr als er selbst sich ausdenken kann. Darum wird er beim Abfassen seiner

Anzeige zum Poeten.

 

Sprachliche Artikulationen verschiedener Menschen im Kontext bildhafter Gestaltung bildeten bereits einen Schwerpunkt in zwei großen früheren Arbeiten Roswitha Steinkopfs: Auf der Weltausstellung des Jahres 2000 in Hannover mit ‚Greetings’ und dann mit ihrem interaktiven, noch nicht

abgeschlossenen work in progress ‚art is …’ hat sie Menschen, die sich im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Sprache, Nationalität und Bildung unterschieden, dazu gebracht, Grüße auf die farbigen Wellenblöcke aus Hartschaum zu schreiben oder den Versuch zu machen, auf einer der

20 x 20 cm großen Holzplatten den Satz „Kunst ist...“ zu Ende zu bringen. Damit hinterließ jeder charakteristische Spuren von sich selbst. Diese stehen im Horizont aktueller, weltweiter Kommunikation, als handschriftliche aber gegen deren gleichmacherische, alles nivellierende Tendenz. Auf die menschliche Individualität im Zusammenhang der Massengesellschaft

zielen Roswitha Steinkopfs Anzeigenbilder ‚personal classified ads’ ebenso ab wie ihre unter Verwendung von Asche als Malmaterial gearbeitetenInstallationen ‚Memento mori’, ‚Phoenix’, ‚Conditio humana’ und andere aus den frühen 90er Jahren.

 

Die Schrift auf den Anzeigenbildern imitiert bewusst nicht die Druckschrift der Zeitungsanzeigen. Vielmehr brachte die Künstlerin jeden einzelnen Buchstaben mit der Schablone auf die Leinwand. Dabei ergaben sich kleine Unregelmäßigkeiten – analog der Situation dessen, der nicht wie eine

Präzisionsarbeit produzierende Maschine, sondern mit seinen mehr oder weniger beschränkten Mitteln und Möglichkeiten seine Identität bastelt. Der Schrift werden, gleichgewichtig, doch mit unmittelbarer Eindringlichkeit, Bildeindrücke aus New York gegenübergestellt. Im Großteil ihrer Bilder

verzichtet die Künstlerin auf eine emotional wirkende Farbigkeit und nimmt mit zunehmender Genauigkeit in der Schilderung der Stadt auch ihren persönlichen Malgestus zugunsten einer größeren Objektivität zurück. So sind besonders die in verschieden temperierten Grautönen gehaltenen Bilder unbestimmt wie die Zukunft, die der einzelne auf der Suche nach seiner Selbstverwirklichung vor sich und in sich hat.

 

Ulrich Kuder, Kiel 2009, Museum Eckernförde