Ren Rong: "Vorhang der Geschichte", 2013, Collage auf Holz, 60 x 120 cm

 

REN RONG:

LASST HUNDERT BLUMEN BLÜHEN

 

Die Welt der Pflanzenmenschen

Der chinesische Künstler Ren Rong aus Nanjing, der in Bonn und Peking lebt und arbeitet, hat aus seinem umfangreichen Oeuvre 5 Gruppen für die Ausstellung ausgewählt. Sie  beziehen sich auf die symbiotische Welt der Pflanzenmenschen, die für den Künstler Träger zu verschiedensten Themen aus der Geschichte der Menschheit werden können.

In der ersten Gruppe sehen wir eine Reihe von Papierschnitten in der dritten Dimension, die in der alten chinesischen Tradition gefertigt sind. Sie werden mit Händen und Schere ganz klassisch geschnitten. Es ruft ein Erstaunen beim europäischen Bertachter hervor, wenn er miterlebt, wie künstlerische Formen aus den Bewegungen der Hände wie von selbst und selbstverständlich entstehen. Der fertige Schnitt wird nicht wie sonst üblich einfach auf den Bildträger flach gelegt, sondern mit unterschiedlichen Abständen auf den Bildträger montiert. Durch die unterschiedlichen Distanzen ergeben sich durch die Beleuchtung differierende Schattenbildungen. Die Scherenschnitte erinnern somit auch an die Tradition der chinesischen Schattenspiele. Früher benutzte Ren Rong für seine Schnitte eine einzelne Farbe. Heute nimmt er Aquarellfarben, die er wie bei der chinesischen Tuschmalerei in farbige Verläufe bringt, die von außerordentlicher Bewegtheit und Lebendigkeit sind und somit die Wirkung der Schattenspiele noch verstärken.

In einer weiteren Gruppe dieser Scherenschnitte nutzt Ren Rong die Vielfalt der Farbskala auf einem Papier von Rot zu Gelb zu Grün zu Blau zu Violett. Der Bertachter fühlt sich in einen Regenbogen verführt, der mir warmen und kalten Farben die Augen irritiert. Goethes Farbenlehre ist wieder auferstanden. Auch bei Heinz Mack finden wir in seinen Arbeiten, die sich auf die Natur beziehen, diese Vorliebe für eine brillante Farbskala. Die Pflanzenmenschen wachsen mit ihren Farben von der Erde bis zur Sonne, die Menschen tanzen auf den Bäumen, was durch den Schnitt in eine narrative Abstraktion gewandelt wird.

In der zweiten Gruppe, ebenso wie alle anderen als serielle Einheit konzipiert und dann  jedes einzelne Bild autonom formuliert, zeigen Prägedrucke auf, wie das Papier als eine lebendige, menschliche Haut verstanden werden kann. Das hochkarätige, handgeschöpfte Papier von einem Meister aus der Schweiz hat Ren Rong von seinem Lehrer Günther Uecker übernommen, der es  für seine abstrakten Nageldrucke verwendet. Ren Rong setzt diese Technik für seine figuralen Darstellungen ein. Doch die einfarbige Reduktion ruft beim Betrachter  das Gefühl von Meditation hervor. Durch die auch hier gegebene dritte Dimension entsteht ein feiner zeichnender Schatten, der den Bildinhalt klärt. Die weißen Prägedrucke stehen am anderen Ende in Bezug auf die farbigen Papierschnitte, sie evozieren das Gefühl der Weite, wie wir es aus Bildern von Gerhard Richter kennen.

Auch in der dritten Gruppe der Eisenskulpturen thematisiert der Künstler den Raum, die dritte Dimension. Die Figuren aus Cortenstahl bilden durch Rosten eine feste Oberfläche aus. Der ursprüngliche Baustahl für Fassaden patiniert unterschiedlich, immer auf seinen Außenstandort bezogen. Die Skulpturen sind ein Papierschnitt in Eisen in der dritten Dimension. Sie können umlaufen werden, sie haben zwei Ansichten und  dazu zwei Schmalseiten. Sie sind sozusagen in den Raum geschnitten. Sie stehen oft vor einer weißen Wand, so dass ihre Lebendigkeit durch den Schattenwurf noch verstärkt wird. Dieser 3 D – Effekt interessiert den Künstler besonders. Zudem fordert er den Betrachter zur Aktion auf. Jede Figur hat einen musikalischen, einen Schlaghammer, einen Klöppel, mit dem er auf diesen Skulpturen musizieren kann. Das museale Nichtanfassen bitte, wird aufgehoben, die Figuren sind visuell und akustisch haptisch konzipiert. Kommunikation ist keine Einbahnstraße, sondern zugleich auch eine Interaktion. Wenn sehr viele dieser Figuren zusammenkommen, wie auf der Ausstellung CHINA 8 im Sommer 2015 vor dem Lehmbruck Museum in Duisburg, so verwandeln die Figuren die berühmten militärischen Wächter der Terrakottaarmee des ersten chinesischen Kaisers aus dem Grab in der Prvinzhauptsadt Xian zu einer Friedensarmee, in der kein General und kein Dirigent etwas zu sagen haben.

Kleine Arbeiten, Reliefs in Edelstahl, binden die Kunst in das Thema Raum ein. Die Figuren stehen im freien Raum. In vielen, vielen Arbeitsschritten ist der Stahl poliert worden, so dass Spiegelungen von sich änderndem Licht garantiert sind, denn die Umgebung spielt immer dabei eine wichtige Rolle. Der Betrachter, der in diese Spiegel sieht, sieht sich selbst, er wird Teil dieser Skulptur, die zurückblickt; wieder eine kommunikative Kunstidee, durch die ein  Werk auf die sich ändernde Umgebung permanent reagiert.

Eine kleine fünfte Gruppe ist dem Klassiker unter den chinesischen Themen gewidmet: Mao. Der große Vorsitzende wird in den klassischen, politischen Posen dargestellt. Doch dieser ausgeprägte, sozusagen öffentliche und offizielle Realismus  wird ganz subtil gestört. Ren Rong  ‚verziert‘ auf eindringliche aber leise Art und Weise -  und somit auch schnell zu  übersehen -  den großen Führer des chinesischen Volkes mit seine Attributen aus der Welt der Pflanzenmenschen. Er stellt Mao wieder in einen menschlichen, freudigen und schönen Rahmen.

Alle Kunstwerke zeigen auf wie Geschichtlichkeit, die der Vergangenheit und die der Gegenwart, die der Großen wie auch die der Kleinen, das Kunstwollen des Künstlers bestimmen. Die Themen dringen nicht in diese Pflanzenwelt ein, um diese zu zerstören. Diese Welt wird zum neutralen Träger für die historischen Argumente. Sie helfen bei der Suche nach der Wahrheit. Die Figuren werden zu Katalysatoren der Bildwelt des Künstlers Ren Rong. Er liebt und sucht diese Öffentlichkeit für Kommunikation durch Kunst. Der Künstler wird nicht nur zum Kreator, sondern auch zum Moderator. Er ist der, der das ästhetische Schlusswort spricht. Es ist eine spannende Bereicherung des Lebens, mit diesen Figuren zu leben.

 

Professor Dr. Dieter Ronte, Kunsthistoriker und Kurator,Bonn